Städtischer Saalbau: Vom Kaisersaal zum Mondpalast

„Erst ein Theater macht eine Stadt wirklich zur Stadt.“ Behauptet die in Ehren ergraute Frankfurter Allgemeine (hinter der bekanntlich immer ein kluger Kopf steckt). Und meint tatsächlich Wanne-Eickel! Das mit dem Mondpalast ein richtiges eigenes Theater bekam. Mit eigenem Ensemble, richtigem Spielplan, Theaterkneipe und allem drum und dran. Nur Parkplätze fehlen noch. Aber immerhin: mitten in Wanne-Eickel. „Stadt“ Wanne-Eickel (FAZ). Mit einem richtigen, eigenen Theater, dem ersten seit 93 Jahren.

Der „Theaterverein Fidele Horst“ und die „Volksbühne Körner“ werden das wahrscheinlich anders sehen. Schließlich bespielten die beiden alteingesessenen Wanne-Eickeler Theatergruppen den Saalbau über so manche Jahre. Wobei zweimal im Monat nicht so richtiges „Bespielen“ ist. Gelegentliche Gastspiele eines Tourneetheaters der B-Liga und die eine oder andere Festveranstaltung konnten auch nichts daran ändern, dass der Saalbau im Rahmen seiner Möglichkeiten dramatisch unterfordert war und lieblos behandelt wurde.

Dabei hatte alles mal sehr hoffnungsvoll angefangen. Der Stadtgarten trug noch frisches Grün und hieß Kaisergarten, durch die Kaiserpassage lustwandelte man hinein, erfreute sich am Gondelteich und blickte stolz auf das feine Schmuckstück zu seinen Ufern, den 1911 erbauten Kaisersaal. Die Wanne-Eickeler Bürger machten sich fein, um dort zu feiern, zu tanzen und zu dinieren – nur den Theatervorführungen blieben sie fern. Das Bochumer Schauspielhaus gestaltete den Spielplan – und brach das Experiment nach nur fünf Vorstellungen mangels Zuschauermasse ab.

Als der Kaisersaal nach dem Ersten Weltkrieg in Stadtgartensaal umbenannt wurde, stieg das Theaterinteresse zumindest soweit, dass sich für etliche Ensembles der Trip nach Wanne-Eickel lohnte. Die Gästeliste der Mimen und Regisseure war für Wanne-Eickeler Verhältnisse durchaus respektabel. Und da die Wanne-Eickeler nicht nur zugucken, sondern auch mitspielen wollten, gründeten sich Laienspielgruppen, die dann auch mal auf die Bretter durften, die zumindest in Wanne-Eickel die Welt bedeuteten. Die „Volksbühne Körner“ und der „Fidele Horst“ waren ebenso dabei wie der „Dramatische Verein deutsche Treue“, die „Theaterfreunde Unser Fritz“ und „Gemütlichkeit Röhlinghausen“.

Nachdem der Zweite Weltkrieg für eine gründliche Zerstörung des Musentempels gesorgt hatte, kramte man 1951 die alten Pläne aus und stellte den Stadtgartensaal so wieder hin, wie er mal gestanden hatte. Äußerlich gesehen, denn drinnen dominierte nun der Theatersaal. Damit man das auch draußen merkte, verabschiedete man sich von dem Namen „Stadtgartensaal“ und nannte das Ding nun „Saalbau“. Akribisch wachten städtische Geschmacksverwalter darüber, dass darin bloß nichts anderes passiert als Kultur. Und so durfte auch das legendäre Streitgespräch zwischen Rudi Dutschke und dem jungen Johannes Rau hier nicht stattfinden, Politik ist schließlich keine Kultur. Rau und Dutschke diskutierten dann in Wattenscheid.

1967 wurde der Saalbau renoviert. Die Akustik besserte sich. Sonst aber nichts. 1974 beschlossen die Verantwortlichen, den Wanne-Eickeler Kulturbegriff um Tagungen, Betriebsversammlungen und Vereinsfeiern zu erweitern, nahmen 3,2 Mio. Mark in die Hand und pappten einen hässlichen, schwarzen Klotz vor den adretten Jugendstil, um im Kongressfieber des Ruhrgebiets mitschwitzen zu können. Eine architektonische Hässlichkeit ohne Gleichen, die wahrscheinlich nur von der Betreibergesellschaft als „gelungener Mix aus Tradition und Moderne“ gefeiert werden kann. Richtig in die Puschen kam der wilhelminische Oldie mit seinem Grusel-Anbau aber auch nicht.

Und in dieses triste Ensemble platzte 2003 Christian Stramann, mit guter Laune, Tatendrang und einem kaum zu bremsenden Optimismus. Seine Idee, ein Volkstheater des Ruhrgebiets à la Ohnsorg oder Millowitsch ausgerechnet in Wanne-Eickel anzusiedeln, hatte was Tollkühnes. Aber sie hatte auch etwas ungemein Attraktives – und sie hatte vor allem: Charme. In nur einem Jahr (wann hatte es so was zuletzt in Wanne-Eickel und meinetwegen auch Herne gegeben?) überzeugte er Verweser und Verwalter, machte Verträge, engagierte und organisierte Autor, Ensemble, Intendant, Spielplan, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit.

Dass kein Wanne-Eickeler an dem Projekt beteiligt ist, kann nur ganz hartgesottene Lokalpatrioten grämen. Alle anderen freuen sich darüber, dass es endlich wieder Spaß macht, in den Saalbau, pardon: Mondpalast zu gehen. Und für den Spaß sorgt ein kreativer Mix aus guten Bekannten der freien Theaterszene des Ruhrgebiets und Erfolg versprechenden Nachwuchstalenten aus der ganzen Republik. Mondpalast-Autor Sigi Domke, zum Beispiel, leitete mal das Theater Freudenhaus in Essen, schrieb etliche Theaterstücke und ist Chefautor von Herbert Knebel. Ehemalige Mitglieder des Thealozzi und des Theaters Ecce Homo in Bochum sind ebenso dem Ruf nach Wanne-Eickel gefolgt.

Im Januar öffnete sich erstmals der Vorhang des Mondpalastes. „Ronaldo und Julia“ stand auf dem Spielplan – und wurde ein Volltreffer. Die von Shakespeare inspirierte Lovestory zweier Nachbarskinder im Spannungsfeld der beiden „Religionsgemeinschaften“ Schalke 04 und Borussia Dortmund hat etwas geschafft, was selten war in den letzten Jahrzehnten: Besucher aus dem weiten Ruhrgebiet und drumherum kommen freiwillig und gerne nach Wanne-Eickel. Und das nicht nur einmal! Für andauernde Parkplatznot an der Wilhelmstraße sorgt auch die beiden weiteren Stücke „Auf der wilden Rita“ und „Wat ne herrliche Welt“.

Bleibt zu hoffen, dass der Mondpalast ähnliches Stehvermögen beweist wie der 1919 gegründete „Theaterverein Fidele Horst“ oder gar die Volksbühne Körner: Letztere kann 2009 ihr 100-Jähriges feiern!

 

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