Einmal Pommes mit Majo. Okay, Schälchen, Pommes aus der Friteuse (wieder nicht richtig abgetropft), mit dem Salzstreuer drübergewedelt, Fritten in die Pappschale, überstehende Exemplare mit den Fingern zurückschieben, das Häufchen Pommes unter den Mayonnaisespender halten, abdrücken, Schale einwickeln, „Stäbchen dabei?“ Nee, lass ma!
Ich habe eine Traum. Der beginnt damit, das sich eine feine Pergamenttüte wie von Zauberhand öffnet. Nachdem die Fritten genug Zeit hatten, das Fett abzustreifen, werden sie richtig gesalzen. Mit körnigem Salz, das noch eine Weile auf den Pommes Frites glitzert. Nachdem die goldenen Stäbchen sorgfältig mit dem Salz vermischt worden sind, kommen sie in die Tüte. Bis zum Rand, so dass oben drauf nur noch ein guter Schlag Mayonnaise passt. Mit dem Löffel natürlich. Und mein Traum geht weiter. Mit einem großen Blatt Pergamentpapier, das kunstvoll um die bereits aufs herrlichste gefüllte Tüte geschlagen wird. Jetzt hat sich das Volumen verdoppelt. Platz genug also für eine weitere Portion feiner Pommes Frites. Und die wird natürlich ebenfalls von einem üppigen Schlag Mayonnaise gekrönt.
Ikonen der Pommeskultur: Lina und Johanna Kühn, fotografiert von Klaus Wilbrandt |
Bis vor zehn Jahren konnte ich mir meinen Traum erfüllen. Bei Pommes Kühn in der Märkische Straße. Natürlich hatte in den späteren Jahren der Zeitgeist auch vor dieser Imbiss-Institution nicht halt gemacht. Lina Kühns erster Griff galt dann dem Schälchen. „Nee, bitte wie früher.“ Musste ich erklären, dass ich als Schüler immer nach dem Hallenbad und meist noch mit nassen Haaren nach der Tüte Pommes lechzte? Musste ich erläutern, dass ich zu einer der Dutzenden Schülergenerationen zwischen 1959 und 1992 gehörte, für die es keinen anderen Heimweg gab als den durch die Märkische Straße? Egal, ob sie von der Penne, dem Hallenbad oder von Diel kamen. Nein, selbstverständlich bekam ich meine Tüte auch ohne große Worte. Mit einem Grinsen - und fast so perfekt wie früher. Allerdings zum Preis einer doppelten Portion - wir waren ja schließlich nicht mehr in den 1960er Jahren.
An Lina Kühn erinnere ich mich als eine freundliche aber, wenn es sein musste, auch durchaus resolute Person. Neben ihr werkelte häufig ihre Schwester Johanna. Oft wurde man auch von einer grimmig dreinblickende Dame mit respektablem Bartwuchs bedient, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnere. Aber sie beherrschte den Tüten-Trick natürlich ebenfalls.
Hätte es diese herrlichen Kunstwerke nicht gegeben, wäre Imbiss Kühn sicher nicht zum Kult für Generationen geworden. Der Imbiss war winzig, die nackten Fensterflächen zur Märkischen im Winter beschlagen. Das Interieur in den 1960ern würde ich als ausgesprochen rudimentär bezeichnen. Resopal-Design, scheußliche Tapete. Und hinter der Glastheke war das Angebot sehr überschaubar. Bratwurst, Hähnchen, kleiner Salat. Hab ich nie gegessen. Was sich neben dem Pommes aber wirklich noch lohnte, war das Schaschlik. Das ließ man sich auf einem Porzellanteller servieren und aß es vor einem schmalen Wandbord stehend.
Die Schaschliksoße war selbstgemacht, nix aus der Tüte oder dem Eimer. Und diese dünnflüssige, wunderbare, braune Fleischbrühe gab es auch auf die Kartoffeln, wenn man Pommes mit Soße bestellte. Was zwar ungeheuer matschte, aber ebenfalls klasse schmeckte. Im April 1992 war Schluss mit Pommes Kühn. Lina, von der die meisten glaubten, dass sie eigentlich „Omma“ Kühn hieße, musste von Angehörigen förmlich in den Ruhestand gedrängt werden. Ihre letzte Schicht auf der Märkischen Straße fuhr die Grand Dame der Kartoffelstäbchen mit 87 Jahren.
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